MUSIK

 

JOHANNES MARKS
KLARINETTENQUINTETT & STREICHQUARTETT

 

SARA TAVASSOLI   Klarinette

JELENA ESKIN   Violine

WERNER VON SCHNITZLER   Violine

FLORIAN GLOCKNER   Viola

COSIMA STREICH   Violoncello

Das Klarinettenquintett ist im Sommer des Jahres 2013 anlässlich eines literarisch-musikalischen Projekts entstanden, in dessen Zentrum der Text „Süße Katharsis“ des Germanisten und Musikgelehrten Dr. Johannes Odendahl steht. Der Autor beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass das Wahrnehmen und Verstehen in der Kunst als glückhaft, als genussvoll empfunden wird, auch dann – und gerade dann –, wenn etwa Musik, die negative Emotionen wie Trauer oder Wut ausdrückt, gespielt wird. Eine tröstliche Wirkung geht dabei von der Zustimmung zum Angeschauten oder Gehörten aus. Dies hat „auch etwas von süßer Resignation; hier gibt man dem Schmerz nach, gibt sich ihm, lustvoll, ganz hin, weil er eben sein muss und die Welt nicht an­ders sein kann als lust- und leidvoll.“ Damit sind jedoch Kunst und Musik in ihrer melancholischen Haltung der Lebenstüchtigkeit und auch dem Fortschrittsgedanken der Wissenschaft diametral entgegengesetzt. Seit Platon besteht „Skepsis gegenüber einer empfindsamen Kunst als einer im Grunde fortschrittsfeindlichen und antirationalen Wirkmacht. Die Kunstströmungen der Empfindsamkeit und der Romantik können so als bloß noch defensive Gegenbewegungen gegen eine um sich greifende Tendenz der Rationalisierung, Ökonomisierung und Funktionalisierung betrachtet werden. Und seit dem 20. Jahrhundert scheint auch die avancierte Kunst – das Attribut besagt es – sich zunehmend dem Fortschrittsideal zu verschreiben; der Katharsis-Gedanke wird ihr suspekt. Das weiterhin bestehende Bedürfnis nach Empfindsamkeit und ,Katharsis’ zu stillen, überlässt sie einer prosperierenden Unterhaltungsindustrie.“

Für den zeitgenössischen Komponisten ist dies eine durchaus provokante Schlussfolgerung. Das hier dokumentierte Klarinettenquintett beschrei-tet vor dem Hintergrund der Erkenntnisse Odendahls einen eigentümlichen Weg: Ohne dem Stand der Musikgeschichte Hohn sprechen zu wollen, sucht es unüberhörbar kathartische Wirkungen, und zwar im Umgang mit dem tonalen Klang, der als tradiertes, dem Hörer vertrautes Element Reibungen herausfordert – in diesem Fall in Form der Hinwendung zu unaufgelösten akkordfremden Tönen. Der jeweils wahrnehmbare Klang wird als Teil eines größeren Akkordgebildes verstanden, das, den Blickwinkel des Moments überschreitend, niemals als Ganzes zu hören ist, aber in jedem Augenblick ideell existiert; weite Teile des Werks bestehen in einem – dem tonalen Komponieren als Methode eigentlich fremden – Abschreiten dieses Akkords, dessen Teilmengen bestimmte motivische Keime eingeschrieben sind. So sind die bewegten und virtuosen Texturen in einem stehenden Ganzen aufgehoben.

 

Das zwölf Jahre früher entstandene Streichquartett trug ursprünglich den Titel Ein Streichquartett für Egoisten. Programmatisch ist das ständige, niemals zu einem Ziel kommende Kreisen um einen einzigen Klang, der, an sich auflösungsbedürftig, doch immer wieder nur zu sich selbst führt und also als immerwährender Impuls fungiert. Das muss extreme Klangereignisse zur Folge haben, etwa die Konfrontation leerer mit extrem hoch gegriffenen Saiten innerhalb von Quadrupelgriffen bei größter dynamischer Intensität. Kreisend ist auch die Großform angelegt, die in einem ständigen Sich-Umlagern von Themenkomplexen besteht, die charakterlich unterschiedliche Ausprägungen desselben Kerngedankens sind. Im Rahmen des Katharsis-Projekts bildet die Komposition den herben, zunächst eben doch avancierter scheinenden Widerpart zum freundlich gehaltenen Klarinettenquintett  – bei eingehendem Hören mag sich dieser Gegensatz jedoch als eher äußerlich entpuppen und sich eine Verbundenheit der beiden Stücke offenbaren.